Wie sich die Apothekenlandschaft in Deutschland retten kann: Strategien gegen das Apothekensterben und die Dominanz der Versandapotheken
Vor-Ort-Apotheken in Deutschland kämpfen ums Überleben. Die Konkurrenz durch Versandapotheken, steigende Betriebskosten und eine schleppende Digitalisierung setzen sie massiv unter Druck. Wie kann sich die Apothekenlandschaft langfristig behaupten? Zahlen, Fakten und Strategien
Das Apothekensterben: Ein Blick auf die Fakten
Das sogenannte „Apothekensterben“ beschreibt die stetige Abnahme der Zahl von Vor-Ort-Apotheken in Deutschland. Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ist die Zahl der Apotheken von 21.602 im Jahr 2010 auf 18.068 im Jahr 2022 gesunken – ein Rückgang von 16 % innerhalb von zwölf Jahren (Quelle 1).
Besonders kritisch ist die Lage in ländlichen Gebieten. Dort verlieren immer mehr Dörfer ihre letzte Apotheke, was insbesondere für ältere Menschen und chronisch Kranke zur Versorgungslücke führt.
Währenddessen boomt der Markt der Versandapotheken. Laut Statista und IQVIA stieg der Umsatz von Online-Apotheken wie DocMorris und Shop-Apotheke zwischen 2010 und 2024 von 1,5 Milliarden Euro auf über 5 Milliarden Euro (Quelle 2). Die Versandapotheken profitieren von einem sich wandelnden Konsumverhalten: Kunden schätzen die Möglichkeit, Medikamente bequem von zuhause zu bestellen, oft zu günstigeren Preisen.
Warum haben Vor-Ort-Apotheken das Nachsehen?
Die Dominanz der Versandapotheken lässt sich durch mehrere Faktoren erklären:
Niedrigere Preise und Rabatte:
Versandapotheken profitieren von zentralisierten Logistikzentren, die ihre Betriebskosten stark senken. Zudem können einige Anbieter im Ausland die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten umgehen und Rabatte gewähren (Quelle 5).Bequemlichkeit und digitale Services:
Versandapotheken bieten Apps, personalisierte Angebote und eine schnelle Lieferung an. Laut einer Bitkom-Studie (2021) geben 60 % der Deutschen an, Medikamente online zu bestellen. Dagegen haben nur 37 % der Apotheken digitale Vorbestellsysteme integriert (Quelle 3).E-Rezept als Wettbewerbsfaktor:
Das elektronische Rezept (E-Rezept), das Anfang 2024 bundesweit eingeführt wurde, verstärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Online-Anbieter. Patienten können Rezepte direkt per Smartphone einlösen, was vor allem Versandapotheken zugutekommt, die die notwendige Infrastruktur bereits vollständig implementiert haben (Quelle 1).Hohe Betriebskosten:
Stationäre Apotheken kämpfen mit steigenden Fixkosten, etwa für Personal, Miete und Energie. Laut einer Umfrage des Deutschen Apothekerverbands (DAV, 2024) beklagen 88 % der Apothekenleiter eine zu geringe Vergütung und wachsenden Kostendruck (Quelle 4).
Wie können Apotheken gegensteuern?
Die Zukunft der Apotheken in Deutschland hängt entscheidend davon ab, wie schnell und effektiv sie sich an die Herausforderungen anpassen. Hier sind fünf zentrale Strategien, die Vor-Ort-Apotheken nutzen können, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben:
1. Digitale Infrastruktur aufbauen:
lokale Apotheken müssen ihre digitalen Angebote erweitern. Dazu gehören Apps und Websites, über die Kunden Medikamente vorbestellen oder E-Rezepte einlösen können. Studien zeigen, dass 67 % der Verbraucher personalisierte digitale Angebote schätzen, ein Bereich, in dem viele Apotheken noch Nachholbedarf haben (Quelle 3).
2. Lieferdienste etablieren: Eine Same-Day-Delivery-Lösung könnte der größte Vorteil von Vor-Ort-Apotheken gegenüber Versandapotheken werden. Während Online-Anbieter in der Regel 1–2 Tage für die Lieferung benötigen, können lokale Apotheken Medikamente noch am selben Tag bereitstellen. Regionale Lieferdienste wie „Apotheken-Lieferboten“ oder Pilotprojekte wie in Bayern zeigen, dass dies möglich ist (Quelle 8).
3. Persönliche Beratung und Zusatzservices betonen: Die persönliche Beratung bleibt das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von Vor-Ort-Apotheken. Angebote wie Gesundheits-Checks, Impfungen und Arzneimittel-Coachings könnten dabei helfen, Kunden wieder stärker zu binden (Quelle 4).
4. Kooperationen und Plattformlösungen: Regionale Zusammenschlüsse von Apotheken könnten digitale Plattformen schaffen, die den Wettbewerbsvorteil der großen Online-Anbieter ausgleichen. Eine solche Plattform könnte verschiedene Apotheken bündeln und eine flächendeckende Same-Day-Delivery anbieten (Quelle 7).
5. Automatisierung und Effizienzsteigerung: Durch den Einsatz von Lagerrobotern, KI-gestützten Bestellsystemen und automatisierten Abläufen können Apotheken ihre Betriebskosten senken und effizienter arbeiten.
Politische Unterstützung als entscheidender Faktor
Neben unternehmerischen Maßnahmen ist auch die Politik gefragt, um das Apothekensterben zu stoppen. Laut einer Studie des DAV (2024) sind bis zu 50 % der Apotheken bis 2030 gefährdet, wenn keine politischen Maßnahmen ergriffen werden (Quelle 4).
Mögliche politische Maßnahmen:
Subventionen: Zuschüsse für Apotheken in ländlichen Regionen, die unter hohen Betriebskosten leiden.
Förderung der Digitalisierung: Finanzielle Unterstützung für Apotheken, die in digitale Lösungen investieren.
Lockerung der Preisbindung: Ermöglichung von Rabattaktionen für Vor-Ort-Apotheken, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Versandapotheken zu erhöhen (Quelle 5).
Regionale Erfolgsbeispiele: Bayerns Pilotprojekt
Ein Blick nach Bayern zeigt, wie Fördermaßnahmen helfen können: Dort wurde 2024 ein staatliches Programm eingeführt, das Apotheken in ländlichen Gebieten bei der Digitalisierung unterstützt. Neben finanziellen Zuschüssen wird die Implementierung von Lieferdiensten und E-Rezept-Kompatibilität gefördert (Quelle 8).
Fazit: Die Zukunft der Apotheken in Deutschland
Das Apothekensterben in Deutschland ist ein ernsthaftes Problem, das sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Folgen hat. Doch es gibt Wege, um den Trend aufzuhalten: Durch die konsequente Digitalisierung, stärkere Zusammenarbeit und politische Unterstützung können Vor-Ort-Apotheken sich gegen die Versandapotheken behaupten.
Die Frage ist, ob die Branche schnell genug handelt, um den Anschluss nicht zu verlieren. Denn eins ist sicher: Die Kunden von heute erwarten eine Mischung aus persönlicher Beratung und digitalem Komfort – und genau hier könnte die Zukunft der Apotheken liegen.
Quellen:
ABDA: „Zahl der Apotheken in Deutschland“ (www.abda.de)
Statista/IQVIA: „Marktvolumen der Versandapotheken in Deutschland“ (www.statista.com)
Bitkom Research: „Digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland“ (www.bitkom.org)
Deutscher Apothekerverband (DAV): Jahresbericht 2024 (www.abda.de/dav)
Sachverständigenrat Gesundheit: Gutachten 2021 (www.svr-gesundheit.de)
ABDA-Pressekonferenz zur Lage der Apotheken, Dezember 2024 (www.abda.de)
Zukunftsinstitut: „Der Versandhandel mit Arzneimitteln“ (www.zukunftsinstitut.de)
Bayerisches Förderprogramm für ländliche Apotheken, Bericht 2024 (www.bayern.de)